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Kanzlei mit Vergaberecht für öffentliche Auftraggeber, Vergabestellen sowie Bewerber und Bieter

Begleitung aller Vergabeverfahren, Fachanwalt für Vergaberecht, EU-Vergaberecht, nationales Vergaberecht, e-Vergabe, öffentliche Ausschreibung, Schwellenwerte, Konzessionen, Zuwendungen, GWB, VgV, UGVO, VoB/A, Rüge, Nachprüfungsverfahren, Zuschlag, vorzeitige Beendigung der Vergabe, Schadensersatz, erneute Vergabe

Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt sein, dass eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.

Bei der Angebotswertung steht dem öffentlichen Auftraggeber ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (BGH, Urteil vom 4. April 2017, X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16; OLG München, Beschluss vom 17. September 2015, Verg 3/15). Dieser ist von den Nachprüfungsinstanzen nur dahingehend überprüfbar, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde, von einem zutreffenden und vollständig ermitteltem Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen der Entscheidung zugrunde gelegt wurden und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsansätze verstoßen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16). Dies setzt voraus, dass die Wertungen anhand der aufgestellten Zuschlagskriterien vertretbar, in sich konsistent und in diesem Sinne nachvollziehbar sind.

Nach § 127 Abs. 1 Satz 2 und 4 Satz 2 GWB müssen Zuschlagskriterien so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.

Im vorliegenden hat die Ag die Wertung des Angebots der ASt im qualitativen Zuschlagsunterkriterium 2.2 mit null Punkten damit begründet, dass ein Krankenhaus keine vergleichbare zivile, kritischen Infrastruktur sei und die dortige Tätigkeit des von der ASt benannten Objektverantwortlichen daher nicht die im Unterkriterium 2.2 zu bewertenden Kenntnisse und Erfahrung vermitteln könne. Damit setzt sich die Ag in Widerspruch zu den Vergabeunterlagen, denen diese einschränkende Auslegung nicht zu entnehmen ist.

2. Vergabekammer des Bundes VK 2 – 15/20 vom 14.04.2020

Beschluss

In dem Nachprüfungsverfahren der

wegen der Vergabe „Abschluss eines Rahmenvertrages zur Bewachung […], hat die 2. Vergabe-kammer des Bundes … gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3, 1. Alt GWB nach Lage der Akten am 14. April 2020 beschlossen:
1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Beigeladene trägt die ihr entstandenen Aufwendungen selbst.
Gründe:
I.
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1. Die Antragsgegnerin (Ag) machte am […] die beabsichtigte Vergabe „Abschluss eines Rahmenvertrages zur Bewachung […]“ im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb im Supplement zum Amtsblatt der EU […] gemeinschaftsweit bekannt. Gegenstand des Auftrags ist die „Bewachung und Absicherung von Anlagen und Einrichtungen der Ag […] mit persönlich zugewiesener Waffe“ (Ziffer II.2.1 der Bekanntmachung). Der von der Ag geschätzte Auftragswert übersteigt den Schwellenwert für die Auftragsvergabe deutlich (Vergabevermerk zur Ermittlung des Schwellenwertes sowie Vergabevermerk Zuschlagsvorschlag, Ziffer 4, Seite 13).
Nach Ziffer IV.2.1 der Bekanntmachung sind Zuschlagskriterien der Preis mit einer Gewichtung von 40% und die Qualität der Leistung mit einer Gewichtung von 60%.
In Anhang 4.2 der Vergabeunterlagen („Wachkategorie B“) wurden die qualitativen Zuschlagskriterien und -unterkriterien im Einzelnen festgelegt und beschrieben.
Unter Ziffer 2. „Auftragsmanagement“ wird das Zuschlags-Unterkriterium 2.2 „Kenntnisse und Erfahrung des originär Objektverantwortlichen“ aufgeführt und eine schriftliche Darstellung über die Qualifikation und Fähigkeiten des Objektverantwortlichen gefordert.
Zur Erklärung der Bewertung wird ausgeführt:
„- ausgezeichnet: Der Bieter erhält die volle Punktzahl, wenn er einen Objektverantwortlichen benennt und einsetzt, der in den letzten 10 Jahren mindestens 5 Jahre Berufserfahrung als Objektverantwortlicher in der Bewachung […] Liegenschaften oder vergleichbarer ziviler kritischer Infrastruktur [Fussnote 3] besitzt und diese durch Vorlage positiver Referenzschreiben der Auftraggeber (nicht Arbeitgeber) belegt.
– überobligatorisch: Der Bieter erhält die halbe Punktzahl, wenn er einen Objektverantwortlichen benennt und einsetzt, der in den letzten 10 Jahren mindestens 3 Jahre Berufserfahrung als Objektverantwortlicher in der Bewachung […] Liegenschaften oder vergleichbarer ziviler kritischer Infrastruktur [Fussnote 4] besitzt und diese durch Vorlage positiver Referenzschreiben der Auftraggeber (nicht Arbeitgeber) nachweist
– andernfalls erhält der Bieter für dieses Kriterium keine Punkte.“
Unter den Fussnoten 3 und 4 heißt es gleichlautend:
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„Infrastrukturen gelten dann als „kritisch“, wenn sie für die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften von wichtiger Bedeutung sind und ihr Ausfall oder ihre Beeinträchtigung nachhaltige Störungen im Gesamtsystem zur Folge hat (Auszug Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie))“.
Den Vergabeunterlagen war ein Mustervertrag „über die konventionelle gewerbliche Bewachung […]“ beigefügt (Bewachungsvertrag), der von den Bietern als Bestandteil ihres Angebots mit Vergütungs- und sonstigen bieterspezifischen Angaben ausgefüllt einzureichen war. Hierzu gehörte auch die Darstellung des Bieters zur Erfüllung der qualitativen Zuschlagskriterien gemäß Anhang 4.2, die vom Bieter ausgefüllt als Anlage 17 beizufügen war.
Der Bewachungsvertrag enthält Anforderungen an den Umgang mit Waffen für das eingesetzte Personal. Hierzu gehören das Vorliegen einer waffenrechtlichen Erlaubnis (§ 2 Abs. 1, 5. Spiegelstrich), zur individuellen Zuordnung einer Waffe für das Bewachungspersonal (§ 3 Abs. 2), […] sowie zur Ausbildung der Wachpersonen an der Waffe (§ 5 Abs. 4).
Unter Ziffer III.2.3 („Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“) der Bekanntmachung wird (u.a.) eine Verpflichtungserklärung nach § 28 Waffengesetz sowie zur Beantragung einer Waffentrageerlaubnis für das Bewachungspersonal, verlangt.
Weiterhin werden gefordert:
„Referenzen der wesentlichen in den letzten 5 Jahren erbrachten vergleichbaren Dienstleistungen unter Angabe Art und Umfang der Leistung. Zeit der Leistungserbringung und Angabe, ob die Dienstleistung fachgerecht und ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Insgesamt sind genau 3 erfolgreiche Referenzen über die Bewachung von […] Liegenschaften, von ziviler kritischer Infrastruktur (z. B. Technische Basisstrukturen zur Energieversorgung wie AKW, Flughafen, sozioökonomische Dienstleistungsinfrastrukturen wie Parlament, Regierung) oder vergleichbarer Sicherheitsdienstleistung. Infrastrukturen gelten dann als kritisch, wenn sie für die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften von wichtiger Bedeutung sind und ihr Ausfall oder ihre Beeinträchtigung nachhaltige Störungen im Gesamtsystem zur Folge hat. (Auszug Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie).“
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Für den vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb wurde unter Ziffer IV.1.2 der Bekanntmachung („Beschränkung der Zahl der Wirtschaftsteilnehmer, die zur Angebotsabgabe bzw. Teilnahme aufgefordert werden“) folgendes Wertungsprogramm festgelegt:
„Die Reihung der Bewerber, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, erfolgt nach folgender Bewertungsmatrix: […] Liegenschaft oder kritische Infrastruktur jeweils mit Waffe und mehr als 10 Wachaufgaben = 5 Punkte, […] Liegenschaft oder kritische Infrastruktur jeweils mit Waffe und 6 bis 10 Wachaufgaben = 4 Punkte, […] Liegenschaft oder kritische Infrastruktur jeweils mit Waffe und bis zu 5 Wachaufgaben = 3 Punkte, Sicherheitsdienstleistung mit Waffe = 2 Punkte, militärische Liegenschaft und kritische Infrastruktur jeweils ohne Waffe = 1 Punkt.“
Die Antragstellerin (ASt) und die Beigeladene (Bg) sowie weitere Bieter beteiligten sich erfolgreich am Teilnahmewettbewerb gaben jeweils fristgerecht ein Angebot vor dem Schlusstermin zur Angebotsabgabe (Ziffer IV.3.4 und 3.5 der Bekanntmachung) ab.
Die ASt gab in der Anlage „Qualitätskriterien“ zu ihrem Angebot und zum Bewachungsvertrag (hier Anlage 17) unter Ziffer 2.2 an, dass der benannte Objektverantwortliche in den letzten 10 Jahren über mehr als 5 Jahre Berufserfahrung als Objektverantwortlicher in der Bewachung […] Liegenschaften oder vergleichbarer kritischer Infrastruktur verfüge.
In einem beigefügten Referenzschreiben des Auftraggebers wird dem benannten Objektverantwortlichen attestiert, seit über 10 Jahren die Bewachung für die Liegenschaft eines Krankenhauses fungiert zu haben. Die Leistung habe die nächtliche Bewachung des Objekts ganzjährig an allen Kalendertagen im Zeitraum von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr umfasst.
Mit Schreiben der Ag vom 3. März 2020 teilte diese der ASt gemäß § 134 GWB mit, dass der Zuschlag auf das Angebot der Bg erteilt werden sollte, weil diese im Rahmen der Angebotswertung bei der Bewertung der qualitativen Zuschlagskriterien eine höhere Gesamtpunktzahl erzielt habe. Bei der Bewertung des Zuschlagskriteriums Preis habe die ASt auf dem ersten Platz gelegen.
Mit Schreiben der ASt vom 3. März 2020 hat die ASt um Mitteilung gebeten, wie die einzelnen Qualitätskriterien bewertet wurden und am selben Tag die Auskunft der Ag erhalten, dass der ASt im Wertungsunterkriterium „Auftragsmanagement“ nicht die volle Punktzahl erhalten habe, weil diese im Rahmen der Wertung der Qualifikation und Fähigkeiten des
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Objektverantwortlichen keine Punkte erhalten habe, weil „das beigefügte Referenzschreiben die Tätigkeit lediglich in einem Krankenhaus wiedergibt und nicht in einer vergleichbar zivilen, kritischen Infrastruktur“.
Mit Schreiben vom 6. März 2020 rügte die ASt die Bewertung im Unterkriterium 2.2. Die Qualitätskriterien seien in Anlage 17 zum Vertrag gewerbliche Bewachung detailliert und für die […] der Ag einheitlich niedergelegt. An diese habe sich die ASt gehalten und in zurückliegenden Ausschreibungen die Höchstpunktzahl erzielt.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 12. März 2020 beantragte die ASt bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag an die Ag übermittelt.
a) Mit ihrem Nachprüfungsantrag macht die ASt geltend:
 Die ASt habe sich an die Vorgaben der Ag zum Wertungsprogramm im Anhang 4.2. und die sonstigen Hinweise gehalten und entsprechend die Anlage 17 zum Bewachungsvertrag ausgefüllt. Das zum Beleg der Anforderungen im Unterkriterium 2.2 („Kenntnisse und Erfahrung des originär Objektverantwortlichen“) vorgelegte Referenzschreiben des Krankenhauses entspreche in vollem Umfang den Anforderungen. Das Krankenhaus gehöre zur vergleichbar kritischen, zivilen Infrastruktur nach der KRITIS-Strategie. Diese Definition sei maßgeblich, weil auf diese von der Ag selbst verwiesen worden sei.
 Aus dem Umstand, dass die Bewachungsleistung im Krankenhaus unbewaffnet erfolgte, ergebe sich nichts Nachteiliges für die ASt. Die Ag habe durch ihre Bezugnahme auf die KRITIS-Strategie die zivile kritische Infrastruktur ausdrücklich den […] Liegenschaften gleich gestellt, so dass es nicht darauf ankomme, ob die Bewachung bewaffnet oder unbewaffnet erfolge. Die im Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSIG) und der Rechtsverordnung zur Bestimmung kritischer Infrastrukturen nach dem BSIG (BSI-KRITIS VO) aufgeführten Sektorenbereiche würden typischerweise unbewaffnet gesichert. Wenn die Ag eine Beschränkung der Kenntnisse und Erfahrung des Objektverantwortlichen im Wertungs-Unterkriterium 2.2 auf die bewaffnete Bewachung […] Liegenschaften hätte herbeiführen wollen, so hätte sie dies vorgeben müssen. Dies habe sie jedoch nicht getan. Hinzu komme, dass der Objektverantwortliche selbst – im Einklang mit den Vorgaben der Ag – nicht im
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Wachdienst eingesetzt werde, sondern als handlungs- und weisungsbefugter Vertreter des Auftragnehmers für das eingesetzte Wachpersonal fungiere, so dass es für die Referenz des Objektverantwortlichen nicht darauf ankomme, ob die bescheinigte Objektbewachung bewaffnet oder unbewaffnet erfolgt sei.
 Bei der Bewachungsleistung im Krankenhaus als Referenzobjekt handele es sich auch nicht, wie von der Ag behauptet, um einen reinen Pförtnerdienst. Vielmehr erbringe die ASt typische Sicherheitsdienstleistungen im Bereich des Separatwachdienstes/Objektschutz. Dies wird im Einzelnen ausgeführt (Rundgänge im gesamten Gebäudekomplex, Verschlusskontrolle, deeskalierende Maßnahmen bei Auseinandersetzungen und Verifizierung eingehender Notrufe und Alarme). Der Pfortendienst werde von der ASt zusätzlich ganztäglich im 24-Stundendienst an jedem Kalendertag erbracht.
Die ASt beantragt:
1. Die Ag ist verpflichtet, das Angebot der Ast vom 8. Januar 2020 in dem Vergabeverfahren des […] unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu bewerten.
2. Der Ag wird untersagt, in dem Vergabeverfahren den Zuschlag an die Bg zu erteilen.
3. Der Ast wird Akteneinsicht in die Vergabeakten gewährt.
4. Die Ag trägt die Kosten des Verfahrens.
b) Die Ag macht geltend, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet und deshalb zurückzuweisen sei:
 Die vorgenommene Wertung des Angebots der ASt im Unterkriterium 2.2 sei richtig. Das von der ASt vorgelegte Referenzschreiben erbringe nicht den Nachweis für eine entsprechende Berufserfahrung in der Bewachung […] Liegenschaften oder vergleichbarer ziviler kritischer Infrastruktur, da das von der ASt referenzierte Krankenhaus hierunter nicht subsumiert werden könne.
 Die dargestellte Bewachung des referenzierten Krankenhauses sei tatsächlich nicht als Bewachungsleistung zu werten, sondern beinhalte nur einen unbewaffneten Pförtnerdienst.
 Aus den Vergabeunterlagen ergebe sich eindeutig, dass eine Sicherheitsdienstleistung keinesfalls als vergleichbar mit einer bewaffneten
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Bewachung eingeschätzt werde. Dies ergebe sich aus den Kriterien, die für die Auswahl der Bieter im Teilnahmewettbewerb aufgestellt wurden.
c) Die Bg macht ohne Stellung eines Antrags geltend,
 dass die Ausschreibung zweistufig angelegt sei und die Referenzanforderungen im Teilnahmewettbewerb der bewaffneten Bewachung gegenüber unbewaffneten Bewachung eindeutig den Vorzug gegeben. Dort sei auch detailliert beschrieben worden, welche kritische Infrastruktur als Referenzobjekt als geeignet angesehen werde. Nach Ansicht der ASt bedurfte es nicht bei jeder weiteren Erwähnung der kritischen Infrastruktur einer Wiederholung der einschränkenden Vorgaben.
 Formal möge das von der ASt hinsichtlich des Qualitätsunterkriteriums 2.2 referenzierte Krankenhaus zwar als größeres Krankenhaus mit einer erheblichen Anzahl an Behandlungen zum Bereich kritischer Infrastruktur gehören, inhaltlich sei das aber nicht gerechtfertigt, weil die Sicherheitsleistung für jedes Krankenhaus gleich zu bewerten sei, aber nicht jedes Krankenhaus zur kritischen Infrastruktur gehöre.
 Die von der ASt im referenzierten Krankenhaus erbrachte Tätigkeit sei überdies als unbewaffnete Überwachungs- und nicht als Bewachungsdienstleistung im engeren Sinne einzuordnen. Hinzu komme, dass der von der ASt benannte Objektverantwortliche mit der Referenz den Nachweis über Führungsfähigkeiten nur anhand einer kleineren Gruppe von etwa 3-4 Mitarbeitern nachweisen könne. Dies sei mit der Führung einer größeren Gruppe, die der vorliegende Auftrag erfordere (mindestens 13 Mitarbeiter), nicht vergleichbar. Darüber hinaus verfüge der Objektverantwortliche aufgrund der Referenz nicht über eine Bescheinigung von Fähigkeiten, die er konkret für die Übernahme des ausgeschriebenen Auftrags benötige ([…], Absprachen zwischen […], Auftraggeber und Auftragnehmer, Nachweis der Waffenausbildung). Aufgrund dieser Defizite des Objektverantwortlichen könne der konzeptionelle Teil der ASt nicht in sich schlüssig sein und realistisch umsetzbar sein.
3. Die Vergabekammer hat der ASt und der Bg am 18. März 2020 Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren. Mit Schreiben vom 26. März 2020 erteilte die Vergabekammer den rechtlichen Hinweis, dass sie beabsichtige, nach derzeitiger Rechtsauffassung, der Antragsgegnerin eine Neuwertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer aufzugeben.
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Im Rahmen einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen sei nicht ersichtlich, dass die Ag weitergehende Anforderungen für die Erfüllung des qualitativen Zuschlagsunterkriteriums 2.2 hinsichtlich der Art der Bewachungsleistung, der bewaffneten Erbringung und der zeitlichen Abdeckung aufstellen wollte. Eine explizite Vorgabe der Bewaffnung wäre jedoch erforderlich gewesen, wenn dies aus Sicht der Ag zwingend war für den Erhalt der höchsten Punktzahl erforderlich gewesen wäre.
Mit Schriftsätzen der Ag vom 31. März, der ASt vom 1. April und der Bg vom 3. April 2020 erklärten diese übereinstimmend ihre Zustimmung zur Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 2 GWB. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben.
a) Die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags ist gegeben. Die Ag ist öffentliche Auftraggeberin gemäß § 98, 99 Nr. 1 GWB. Der […] wird nach der Auftragswertschätzung der Ag (vgl. nur Vergabevermerk Zuschlagsvorschlag, Ziffer 4, Seite 13) überschritten.
b) Die nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Antragsbefugnis liegt vor. Durch die Abgabe eines Angebots hat die ASt ihr Interesse am Auftrag hinreichend dokumentiert. Des Weiteren macht sie geltend, in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch eine benachteiligende Wertung der qualitativen Zuschlagskriterien verletzt zu sein. Durch die behauptete Rechtsverletzung droht der ASt auch ein Schaden zu entstehen, weil sie aufgrund der von der Ag vorgenommenen Wertung der qualitativen Zuschlagskriterien den verfahrensgegenständlichen Auftrag nicht erhalten kann.
c) Die ASt hat ihren Rügeobliegenheiten gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB genügt, indem sie fristgerecht am 6. März nach der Mitteilung der Ag vom 3. März 2020 rügte. Die Rechtsbehelfsfrist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB wurde ebenfalls gewahrt.
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2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Wertung des Angebots der ASt durch die Ag im qualitativen Zuschlagskriterium 2.2 („Kenntnisse und Erfahrung des originär Objektverantwortlichen“) ist beurteilungsfehlerhaft.
Bei der Angebotswertung steht dem öffentlichen Auftraggeber ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (BGH, Urteil vom 4. April 2017, X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16; OLG München, Beschluss vom 17. September 2015, Verg 3/15). Dieser ist von den Nachprüfungsinstanzen nur dahingehend überprüfbar, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde, von einem zutreffenden und vollständig ermitteltem Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen der Entscheidung zugrunde gelegt wurden und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsansätze verstoßen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16). Dies setzt voraus, dass die Wertungen anhand der aufgestellten Zuschlagskriterien vertretbar, in sich konsistent und in diesem Sinne nachvollziehbar sind.
Nach § 127 Abs. 1 Satz 2 und 4 Satz 2 GWB müssen Zuschlagskriterien so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.
Im vorliegenden hat die Ag die Wertung des Angebots der ASt im qualitativen Zuschlagsunterkriterium 2.2 mit null Punkten damit begründet, dass ein Krankenhaus keine vergleichbare zivile, kritischen Infrastruktur sei und die dortige Tätigkeit des von der ASt benannten Objektverantwortlichen daher nicht die im Unterkriterium 2.2 zu bewertenden Kenntnisse und Erfahrung vermitteln könne. Damit setzt sich die Ag in Widerspruch zu den Vergabeunterlagen, denen diese einschränkende Auslegung nicht zu entnehmen ist.
Welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§ 133 und § 157 BGB) zu ermitteln. Maßgeblich für das Verständnis ist dabei der objektive Empfängerhorizont des von der Ausschreibung adressierten Bieterkreises entsprechend fachkundiger Unternehmen (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2012 – X ZR 108/10 m.w.N.).
Maßgeblich für die Auslegung sind zunächst die Erläuterungen, die die Ag unmittelbar für das qualitative Zuschlags-Unterkriterium 2.2 im Anhang 4.2 niedergelegt hat. Nach diesen
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erhält der Bieter „die volle Punktzahl, wenn er einen Objektverantwortlichen benennt und einsetzt, der in den letzten 10 Jahren mindestens 5 Jahre Berufserfahrung als Objektverantwortlicher in der Bewachung […] Liegenschaften oder vergleichbarer ziviler kritischer Infrastruktur [Fussnote 3] besitzt und diese durch Vorlage positiver Referenzschreiben der Auftraggeber(nicht Arbeitgeber) belegt.“
In der Fussnote 3 verweist die Ag auf die Definition der Nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukuren (KRITIS) und legt ausdrücklich fest: „Infrastrukturen gelten dann als „kritisch“, wenn sie für die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften von wichtiger Bedeutung sind und ihr Ausfall oder ihre Beeinträchtigung nachhaltige Störungen im Gesamtsystem zur Folge hat.“ Ein Krankenhaus fällt unter diese Definition, wenn es stationäre Versorgung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BSI-KRITIS VO erbringt und der Schwellenwert nach Anhang 5, Teil 3, Nr. 1.1 in Höhe von 30.000 Fällen/Jahr überschritten wird.
Die von der Ag vertretene einschränkende Wertung, dass ein Krankenhaus grundsätzlich nicht im Rahmen des Zuschlagskriteriums 2.2 anerkannt werden kann, steht in deutlichem Widerspruch zu dieser Definition, die ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorgegeben wurde. Diese einschränkende Wertung ist daher nicht in konsistenter Anwendung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien unter Beachtung des Transparenzgebots gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB vertretbar.
Dem steht nicht entgegen, dass die Ag unter Ziffer III.2.3 („Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“) Referenzanforderungen für die Bieter aufgestellt hat, in denen ebenfalls auf die KRITIS-Strategie verwiesen wurde und zusätzlich Beispiele für vergleichbare zivile kritische Infrastruktur aufgeführt hat („z. B. Technische Basisstrukturen zur Energieversorgung wie AKW, Flughafen, sozioökonomische Dienstleistungsinfrastrukturen wie Parlament, Regierung). Dies steht im Einklang mit der von der Ag als maßgeblich festgelegten KRITIS-Definition, so dass hieraus nicht geschlossen werden kann, dass Krankenhäuser, die ebenfalls nach der KRITIS-Definition als kritische Infrastruktur gelten, ausgeschlossen sein sollen.
Die referenzierte Tätigkeit des von der ASt benannten Objektverantwortlichen ist auch als relevante Bewachungsleistung anzuerkennen. Dem steht nicht entgegen, dass diese Bewachungsleistung unbewaffnet erfolgte.
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Zum einen lässt sich diese Beschränkung des Wertungsprogramms auf bewaffnete Referenzleistungen nicht den Erläuterungen zum Zuschlagsunterkriterium 2.2 in Anhang 4.2. entnehmen.
Zum anderen ergibt sich eine solche Beschränkung des Wertungsprogramms auch nicht aus einer Auslegung der Vergabeunterlagen in einer Gesamtschau. Zwar wurde im Rahmen des vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs eine Differenzierung bei der Bewertung der unternehmensbezogenen Referenzen danach vorgenommen, ob die Bewachungsleistung „mit Waffe“ oder „ohne Waffe“ erfolgte (vgl. Ziffer IV.1.2 der Bekanntmachung). Hieraus folgt aber nicht zwingend, dass im Rahmen der Wertung des Zuschlagsunterkriteriums 2.2 (Kenntnisse und Erfahrung des originär Objektverantwortlichen“) nur bewaffnete Bewachungsleistungen Berücksichtigung finden sollen. Vielmehr spricht das Fehlen dieser Differenzierung im Rahmen der Erläuterung des Wertungsprogramms für die Angebotswertung dafür, dass diese von der Ag als nicht relevant eingeschätzt wurde. Hierfür spricht auch, dass der Objektverantwortliche selbst keinerlei Bewachungsleistung erbringen soll und als gegenüber dem eingesetzten Wachpersonal als weisungsbefugter Ansprechpartner des Auftraggebers fungieren soll. Hinzu kommt, dass es durchaus zur Gewährleistung einer wettbewerbsoffenen Ausschreibung sachgerecht sein kann, höhere Anforderungen an die unternehmensbezogene Leistungsfähigkeit des Bieters zu stellen, ohne dass diese Anforderungen jederzeit auch in der Person des objektverantwortlichen Ansprechpartners auf Seiten des Auftragnehmers in gleicher Weise erfüllt sein müssen.
Schließlich ist die referenzierte Tätigkeit im Krankenhaus auch als relevante Bewachungsleistung und nicht lediglich als reine Pförtnerleistung zu qualifizieren. Die ASt erbringt im referenzierten Krankenhaus nach eigenem Bekunden sowohl Pförtner- als auch Bewachungsdienstleistungen. Während die Pförtnerdienstleistung rund um die Uhr, d.h. sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag erbracht wird, beschränkt sich die durch die ASt ausschließlich referenzierte Bewachungsdienstleistung auf die Nachtstunden von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr an allen Kalendertagen. Diese umfasst typische Leistungen von Sicherheitsdiensten wie deeskalierende Maßnahmen bei Auseinandersetzungen und Verifizierung eingehender Notrufe und Alarme (eingehend zur Differenzierung von Pförtner- und Bewachungsdienstleistungen vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. August 2018 – 2 VK LSA 21/17). Im Übrigen hat die Ag zu ihrer Auffassung, es habe sich bei den von der ASt im Krankenhaus erbrachten Leistungen lediglich um Pförtnerdienstleistungen, nicht jedoch um Bewachungsdienstleistungen gehandelt, nicht substantiiert vorgetragen.
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Im vorliegenden Fall ist ausschlaggebend, dass die Ag keine weitergehenden Anforderungen an die Erfüllung des Zuschlags-Unterkriteriums 2.2 hinsichtlich der Art der Bewachungsleistung, der bewaffneten Erbringung und der zeitlichen Abdeckung in hinreichend bestimmter, § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB entsprechender Form, in den Vergabeunterlagen aufgestellt hat. Eine explizite Vorgabe solch differenzierter Anforderungen wäre zur Gewährleistung eines transparenten Bieterwettbewerbs aber erforderlich gewesen, wenn diese aus Sicht der Antragsgegnerin zwingend erforderlich gewesen wären um die höchste Punktzahl in den qualitativen Zuschlagskriterien zu erhalten.
Im Nachhinein können Einschränkungen des Wertungsprogramms nicht mehr eingeführt und geltend gemacht werden, weil sich jeder Bieter bei der Erstellung des eigenen Angebots an den bekannt gemachten Zuschlagskriterien zu orientieren hat und gehalten ist, auf dieser Grundlage ein möglichst wirtschaftliches Angebot abzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB.
Danach hat die Ag als unterliegende Verfahrensbeteiligte sowohl die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) als auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der ASt zu tragen.
Die Bg hat sich zwar durch eine schriftsätzliche Stellungnahme am Verfahren beteiligt. Dennoch ist sie nicht als zusammen mit der Ag unterliegende Partei anzusehen. Im Rahmen der Abwägung nach billigem Ermessen war jedoch zu berücksichtigen, dass die nicht anwaltlich vertretene Bg keine Anträge gestellt hat und der Streitgegenstand – die Rechtmäßigkeit der Wertung des Angebots der ASt im Zuschlags-Unterkriterium 2.2 zu Lasten der ASt – allein in die Sphäre der Ag fällt und die Bg keinen Einblick in die entscheidungserheblichen Angebotsunterlagen der ASt erhalten hat. Aufgrund dieser Sachlage ist nicht davon auszugehen, dass die Bg ein Kostenrisiko auf sich genommen hat, welches nun eine Kostentragung im Fall des Unterliegens rechtfertigen würde.
IV.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt,
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beim Oberlandesgericht Düsseldorf – Vergabesenat -, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
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Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.

Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt sein, dass eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.

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