horak.
RECHTSANWÄLTE PARTNERSCHAFT MBB /
FACHANWÄLTE / PATENTANWÄLTE /

Kanzlei mit Vergaberecht für öffentliche Auftraggeber, Vergabestellen sowie Bewerber und Bieter

Begleitung aller Vergabeverfahren, Fachanwalt für Vergaberecht, EU-Vergaberecht, nationales Vergaberecht, e-Vergabe, öffentliche Ausschreibung, Schwellenwerte, Konzessionen, Zuwendungen, GWB, VgV, UGVO, VoB/A, Rüge, Nachprüfungsverfahren, Zuschlag, vorzeitige Beendigung der Vergabe, Schadensersatz, erneute Vergabe

Die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ist ein unvorhersehbares Ereignis wodurch eine Vergabe nach § 63 VgV aufgehoben werden kann

Die Ag hat sich zu Recht auf den Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV berufen. Danach kann das Verfahren aufgehoben werden, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Eine wesentliche Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens liegt vor, wenn sich die Rahmenbedingungen für bzw. die Anforderungen an die Leistungserbringung für Auftraggeber bzw. Bieter unvorhergesehen erheblich verändern und eine Fortführung des Vergabeverfahrens daher nicht mehr möglich bzw. zumutbar ist (vgl. Portz, in: Ku-lartz (Hrsg.), Kommentar zur VgV, 2017, § 63 VgV Rdnr. 45; vgl. OLG München, Be-schluss vom 4. April 2013, Verg 4/13).

Eine derartige erhebliche Veränderung, die von der Ag nicht vorhersehbar war und ihr somit auch nicht im Sinne einer von ihr selbst verschuldeten Aufhebung zugerechnet werden kann, liegt hier in sachlicher Hinsicht vor. Die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ist – was zwi-schen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist – ein weder der Ag zurechenbares noch vorhersehbares Ereignis.Die Antragsgegnerin hat außerdem nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Bedingun-gen für die ausgeschriebenen Maßnahmen erheblich verändert haben, so dass eine Fort-setzung des Verfahrens derzeit nicht möglich bzw. zumutbar ist.

2. Vergabekammer des Bundes VK 2 – 31/20 Beschluss vom 7.5.2020

In dem Nachprüfungsverfahren der

wegen der Vergabe […], hat die 2. Vergabekammer des Bundes … auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2020 am 7. Mai 2020 beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Nachprüfungsverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der An-tragsgegnerin.
– 2 –
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentlichte am […] Vergabe von Dienstleistungen der Konzeption und Durchführung von Maßnahmen zur Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, zur indivi-duellen Maßnahmekombination Förderzentrum sowie nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III für […]. Die Maßnahme war aufgeteilt in zwei Lose und sollte zum 4. Mai 2020 beginnen.
Die Antragstellerin (ASt) gab ein Angebot ab. Mit separaten Schreiben vom 12. März 2020 infor-mierte die Ag die ASt darüber, dass sie den Zuschlag für die Lose 1 und 2 erhalten soll.
Infolge der pandemischen Entwicklung des neuartigen Coronavirus stellte die Vergabestelle nach der vorläufigen Entscheidung über den Zuschlag intern Überlegungen dahin gehend an, ob die Wei-terführung ihrer Ende 2019 geplanten Arbeitsmarktmaßnahmen im Hinblick auf die aktuelle Situation sinnvoll sei (z.B. eventuell veränderter Bedarf im Arbeitsmarkt, gegebenenfalls Umschichtung von Haushaltsmitteln, aktuell keine Zuweisung von Teilnehmern in laufende Maßnahmen mit physischer Anwesenheitspflicht; dokumentiert in der Vergabeakte im Vermerk vom 19. März 2020). Sie prüfte, wie in laufenden Verträgen mit Behinderungen oder Unterbrechungen der Leistung nach den Ver-tragsbedingungen und der VOL/B umgegangen werden könne. Bei noch nicht erfolgter Erteilung von Zuschlägen hielt sie im Vermerk vom 19. März 2020 fest, dass in der jeweiligen Ausschreibung/Los die Entscheidung über den Zuschlag durch den haushaltsrechtlich verantwortlichen lokalen Bedarfs-träger erfolgen solle. Sie wandte sich hierzu an die verschiedenen Bedarfsträger, so mit E-Mail vom 20. März 2020 auch den Bedarfsträger des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens, und bat um entsprechende Mitteilung. Der Bedarfsträger – […] – bat mit E-Mail vom 20. März 2020 um Aufhe-bung der Ausschreibung. Als Begründung gab das […] gegenüber der Vergabestelle an: „Die Aus-wirkungen der aktuellen Situation sind zum jetzigen Zeitpunkt in keiner Weise planbar, von daher kann eine Verschiebung seriös nicht ins Auge gefasst werden. Eine erneute Ausschreibung zu ei-nem planbaren Zeitpunkt bleibt eine Option!“
Die Entscheidung über die Aufhebungen der beiden Lose fasste die Ag in einem weiteren Vermerk vom 23. März 2020 zur internen Mitzeichnung zusammen. In diesem Vermerk prüfte die Ag die Aufhebung nach den Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV durch. Als Grund für die Aufhebung hielt die Ag dort fest: „Aufgrund der aktuell bestehenden Corona-Epidemie kann derzeit
– 3 –
vom Bedarfsträger nicht bestätigt werden, dass nach Ende der Epidemie der Bedarf für die ausge-schriebene Leistung unverändert so noch besteht, bzw. die Durchführung dieser Maßnahme noch erfolgversprechend ist, da sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt gravierend verändern wird.“ Es sei auch damit zu rechnen, „dass die ursprünglich eingesetzten Finanzmittel – wegen einer nicht vorhersehbaren Haushaltssperre bzw. dringende Umverteilung von Haushaltsmitteln auf andere Be-reiche der [Ag] die zur Sicherstellung des Lebensunterhalt der Bevölkerung dienen – nicht mehr im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen. Es handelt sich bei diesem Ereignis, welches die Auf-hebung auslöst um „Höhere Gewalt“. …“ Daraus ergebe sich eine wesentliche Veränderung der Grundlage des Vergabeverfahrens. Die Corona-Epidemie sei ein nicht vorhersehbares Ereignis, „welches die Bedingungen am Arbeitsmarkt erheblich verändern wird. …“
Die Ag hob schließlich das Vergabeverfahren zu den beiden Losen auf und informierte die ASt dar-über mit zwei separaten Schreiben vom 23. März 2020. Als Begründung gab die Ag in den Schreiben jeweils an, die ASt werde in Anwendung des § 63 Abs. 2 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV be-nachrichtigt, dass Los 1 und Los 2 aufgehoben werden müssten, „weil sich die Grundlage des Verga-beverfahrens wesentlich geändert hat.
Die Ausbreitung des Corona-Virus und die damit verbundene Epidemie ist ein nicht vorhersehbares Ereignis, welches die Bedingungen am Arbeitsmarkt erheblich verändern wird. Ob – und wenn ja in welchem Umfang – die ausgeschriebene Leistung, dann überhaupt noch benötigt wird, ist derzeit nicht planbar.“
Die ASt rügte die Aufhebungen mit Schreiben vom 25. März 2020. Ein Aufhebungsgrund sei nicht gegeben. Die Ag habe ermessensfehlerhaft gehandelt, weil sie andere Möglichkeiten nicht geprüft habe, die eine Fortführung des Vergabeverfahrens ermöglicht hätte. Hierzu verweist die ASt auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) vom 19. März 2020, in dem – was zutrifft – Möglichkeiten flexibler Beschaffungsverfahren aufgezeigt würden. Insbesondere werde da-rin aufgezeigt, kurzfristige Beschaffungsbedarfe durch die Möglichkeiten von Vertragsänderungen-, -verlängerungen bzw. -ausweitungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB zu bewerkstelligen. Die Ag räume in ihren Aufhebungsschreiben selbst ein, dass der Bedarf an den ausgeschriebenen Dienstleistungen auch in Zukunft grundsätzlich nicht entfalle. Etwaige Unklarheiten könne man vergaberechtlich durch die aufgezeigten Instrumentarien auffangen. Es bestehe daher keine Not-wendigkeit für die Aufhebung der beiden Lose.
Die Ag wies die Rügen der ASt mit Schreiben vom 30. März 2020 zurück. Darin führte die Ag u.a. aus: „Es gibt aktuell nur den einen Grund warum der Bedarfsträger von seiner Beschaffungsabsicht
– 4 –
absieht – und zwar den, dass durch den Ausbruch der Epidemie und der damit verbundenen Ein-schränkungen in der Weltwirtschaft derzeit nicht absehbar ist, wie sich der Arbeitsmarkt durch den Ausbruch der Epidemie verändern wird. Eines ist aber ganz gewiss, er wird sich erheblich verändern. Sie mögen das vielleicht nicht als einen schwerwiegenden Grund ansehen – die Welt um Sie herum schon. Sonst hätte das BMWi nicht so schnell am 19.03.2020 das von Ihnen zitierte Rundschrei-ben…versendet, in dem deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass der weitere Verlauf der Epi-demie derzeit nicht sicher prognostizierbar ist.

Niemand weiß genau, welche Dienstleistungsbedarfe es sich für die öffentlichen Auftraggeber nach Ende der Krise ergeben, nur die erfolgte Planung und Ausschreibung wird in dieser Form nicht mehr benötigt, was selbst unter Zugrundelegung äußerster Sorgfalt so nicht vorhersehbar war. …“ Es stehe im Vordergrund für die Ag, „wie sich die kommenden Bedarfe des Bedarfsträgers entwickeln werden unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Krise. …“
2. Mit Schreiben vom 2. April 2020 (Eingang: 3. April 2020) beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am 6. April 2020 an die Ag übermittelt.
a) Die ASt hält ihren Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet. Sie führt hierzu in ihrem Nachprüfungsantrag sowie ergänzend mit Schreiben vom 22. und 27. April 2020 Folgendes aus:
Die ASt ist der Ansicht, die Nachricht vom 23. März 2020 entspreche nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 63 Abs. 2 VgV. Die Mitteilung der Aufhebungsentscheidung der Ag sei nicht mit konkreten Gründen unterlegt. Es könne danach keineswegs ausgeschlossen wer-den, dass die ausgeschriebene Leistung noch genau in der ausgeschriebenen Form benötigt werde. Die Ermessenserwägungen der Ag seien nicht ausgeführt und hätten nicht in dem lediglich formelhaften Hinweis auf Corona erfolgen dürfen. Zur Bewältigung kurzfristiger Be-schaffungsbedarfe komme insbesondere eine Vertragsänderung, -verlängerung und/oder -ausweitung in Betracht, worauf bereits im Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirt-schaft und Energie vom 19. März 2020 hingewiesen worden sei. Vor diesem Hintergrund habe die Ag ihre konkreten Ermessenserwägungen mitteilen müssen. Hinzukomme, dass andere […] der Ag weiterhin Zuschläge erteilten und Optionen gezogen hätten.
– 5 –
Eine Aufhebung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV könne nur in Betracht kommen, wenn sich die Grundlage der Vergabeverfahrens wesentlich geändert habe. Dies sei der Fall, wenn für die Beschaffung unter objektiven Gesichtspunkten tatsächlich kein Bedarf mehr bestehe bzw. wenn fundierte Unwägbarkeiten gegen die Beschaffung sprächen. Die Ag habe hierzu keine nachvollziehbaren sachlichen Gründe vorgetragen und ihr Ermessen fehlerhaft ausge-übt. Die Aufhebung sei willkürlich erfolgt. Die Ag habe sich selbst außerstande gesehen, eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Es sei unstreitig, dass die Ag nach wie vor Zuschläge erteile, wenn der örtliche Bedarfsträger dies für sinnvoll erachte. Auch der Bedarfsträger habe in seiner Stellungnahme vom 20. März 2020 bestätigt, dass ein Bedarf zu einem spä-teren planbaren Zeitpunkt bestehe. Auch gehe daraus nicht hervor, ob es zu einem verän-derten Arbeitsmarkt komme. Die Ag sei auf diese Ausführungen des Bedarfsträgers in ihrem Vermerk vom 23. März 2020 nicht eingegangen, sondern habe dessen Erwägungen willkür-lich ausgelegt, indem die Ag davon ausgegangen sei, dass der Bedarfsträger einen unver-änderten Bedarf nach Ende der Epidemie nicht bestätigen könne bzw. die Durchführung der Maßnahme nicht erfolgversprechend sei, da sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt gravie-rend verändern werde. Die Ag berufe sich als Rechtfertigung für die Aufhebung letztlich nur auf die Corona-Krise, was als Aufhebungsgrund nicht genüge. Es sei eine umfassende Inte-ressenabwägung erforderlich, die schlicht nicht erfolgt sei. Die Ag habe nicht erwogen, ob es weniger einschneidende Maßnahme, wie z.B. die einvernehmliche Verschiebung des Maß-nahmenbeginns, gebe. Auch sei es nicht nachzuvollziehen, wenn die Ag im Nachprüfungs-verfahren mit der Anwesenheitspflicht von Teilnehmern bzw. einer problematischen Kontakt-aufnahme mit den Teilnehmern in Zeiten der Corona-Krise argumentiere. Denn die Ag schreibe nach wie vor entsprechende Maßnahmen aus. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die von der Ag argumentierten besonderen Schwierigkeiten in den Berufsfeldern im Ho-tel- und Gaststättengewerbe. Dies sei nicht nachvollziehbar, da die Ag erst am 22. April 2020 ein Förderzentrum der ASt in […] bezuschlagt habe, in dem auch der Hotel- und Gaststät-tenbereich einen Schwerpunkt bilde. Überdies führt die ASt an, die vorgelegte Übersicht der Ag über aufgehobenen Verfahren sei nur relevant, wenn man auch erfahre, welche Verfah-ren mit einem Zuschlag abgeschlossen worden seien.
Die ASt sieht zudem keine wesentliche Änderung des Vergabeverfahrens zwischen dem Tag der „Erteilung des vorläufigen Zuschlags“ am 12. März 2020 und dem Tag der Aufhebungs-entscheidung am 23. März 2020. Hier sei zu beachten, dass die WHO bereits am 11. März 2020 das Coronavirus zur Pandemie erklärt habe. Das BMWi gehe in seinem Schreiben vom 19. März 2020 sogar schon von Ende Februar 2020 als entscheidendem Zeitpunkt aus.
– 6 –
Eine Rechtfertigung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VgV (anderer schwerwiegender Grund) scheide aus, weil es sich dabei um einen Auffangtatbestand handele, an den strenge An-forderungen zu stellen seien.
Die Anforderungen an die Dokumentation im Vergabevermerk seien, so die ASt in ihrem Schreiben vom 27. April 2020, nicht eingehalten. Die Ausführungen der Ag zu den Aufhe-bungsgründen im laufenden Nachprüfungsverfahren seien insofern nicht von Belang.
Die ASt beantragt,
1. die Ag zu verpflichten, die Aufhebung des Vergabeverfahrens zur Vergabe eines Rah-menvertrages über die […], aufzuheben, das Vergabeverfahren unter Einbeziehung des Angebots der ASt fortzuführen und der ASt den Zuschlag zu erteilen;
2. hilfsweise zu 1. festzustellen, dass die Aufhebung des o.g. Vergabeverfahrens rechts-widrig war und die ASt in ihren Rechten verletzt ist;
3. der Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsverfolgungskosten der ASt aufzuerlegen;
4. der ASt gemäß § 165 GWB Akteneinsicht zu gewähren.
b) Die Ag beantragt:
1. Der Antrag auf Nachprüfung wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die ASt trägt die Kosten für das Nachprüfungsverfahren.
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Die Ag habe die Gründe für die Aufhebungsent-scheidung gemäß § 63 Abs. 2 VgV unverzüglich nach Bekanntwerden der Corona-Pande-mie-Auswirkungen, die ab 16. März 2020 in Kraft getreten seien, mitgeteilt. Sie habe die entsprechende Ermessensentscheidung vorgenommen und in der Vergabeakte dokumen-tiert. Der Ag als […] seien infolge der Krise kurzfristig erhebliche Aufgabenverlagerungen und damit auch verbundene Kostenumverteilungen aufgebürdet worden. Die Bedingungen am Arbeitsmarkt seien durch die Corona-Pandemie erheblich verändert worden, was in der An-tragserwiderung vom 14. April 2020 näher ausgeführt und worauf hier Bezug genommen wird. Maßgeblich sei ein erheblicher Anstieg der Anträge auf Kurzarbeitergeld seit dem 16.
– 7 –
März 2020 im Vergleich zum ganzen Jahr 2019 zu verzeichnen. Viele Bezieher des Kurzar-beitergeldes seien zudem gezwungen, aufstockend Arbeitslosengeld II zu beantragen. Vor diesem Hintergrund hätten die […] ein fünffach höheres Neuantragsvolumen zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund habe sich die Tätigkeit vom sonst vorwiegend vermittlerischen und beraterischen Bereich in den der Leistungsgewährung verlagert. Diese Verlagerung wirke sich auf die verfügbaren Haushaltsmittel der Ag aus und bedinge Umschichtungen von Haus-haltsmitteln, was umfassende Umverteilungen und neue Planungen der arbeitsmarktpoliti-schen Aufgaben erfordere. Dies sei so nicht absehbar bzw. planbar gewesen sei, weshalb die Aufhebung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV geboten gewesen sei.
Eine wesentliche Änderung gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV liege vor. Die ausgeschriebenen Maßnahmen in beiden Losen sollten zum 4. Mai 2020 als Präsenzmaßnahmen beginnen. Es sei aber nicht absehbar, ob zu diesem Zeitpunkt mit entsprechenden Maßnahmen wegen der geltenden Kontaktbeschränkungen überhaupt begonnen werden könne. Neben der Unge-wissheit bezüglich des Starts der Präsenzmaßnahmen käme derzeit das Problem der Kon-taktaufnahme mit den Teilnehmern. Aufgrund der schlagartig aufgetretenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sei zudem nicht absehbar, welche Integrationsmöglichkeiten sich derzeit im Berufsfeld des Hotel- und Gaststättenbereichs ergäben, der die Hälfte der beiden Lose aus-mache und derzeit von den Beschränkungen am stärksten betroffen sei. Unternehmen wüss-ten derzeit kaum, wie man die Stammbelegschaft halten könne. Die Gewinnung neuer Be-schäftigter mit persönlichen Problemlagen stehe demgemäß bei den Betrieben nicht im Vor-dergrund. Es bleibe abzuwarten, inwieweit der Hotel- und Gaststättenbereich mit beschrän-kenden Auflagen zur Eindämmung der Pandemie belegt werde, weshalb eine genauere Pla-nung von Maßnahmen nicht möglich sei. Es gehe daher auch nicht darum, dass die Bedarfe auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden müssten, sondern dass die zugrundelie-gende Planung aufgrund der wesentlichen Änderungen komplett neu geklärt werden müsse. Eine von der ASt vorgebrachte Verschiebung der Maßnahme sei auch nicht zwischen etwa-igem Auftragnehmer und Auftraggeber vereinbar, da es sich um eine ausschreibungsbedürf-tige wesentliche Auftragsänderung nach § 132 Abs. 1 GWB handele. Eine entsprechende Vereinbarung ohne neues Vergabeverfahren verstieße gegen § 135 GWB.
Die Ag hat mit Schreiben vom 14. April 2020 ergänzend mitgeteilt, dass sie krisenbedingte Aufhebungen aktueller Vergabeverfahren […] vorgenommen habe. Sie hat zum Nachweis eine Übersicht mit 28 aufgehobenen Vergabeverfahren eingereicht.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung der Ag antragsgemäß Einsicht in die Vergabe-akten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.
– 8 –
Die Ag hat mit ihrer Antragserwiderung vom 14. April 2020 mitgeteilt, sie sei mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB einverstanden.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin mit Schreiben vom 23. April 2020 einen rechtlichen Hin-weis erteilt, in dem sie ihre vorläufige Rechtsansicht mitgeteilt hat, wonach sie den Nachprüfungs-antrag für unbegründet halte.
Mit Schreiben vom 28. April 2020 hat die Vergabekammer zur mündlichen Verhandlung geladen, um insbesondere die fristgemäß eingegangene Stellungnahme der ASt vom 22. April 2020 ange-messen würdigen zu können, die die Vergabekammer bei Absenden des rechtlichen Hinweises vom 23. April 2020 noch nicht berücksichtig hatte.
Nachdem die ASt auf die Ladung mit Schreiben vom 30. April 2020 auf Durchführung einer mündli-chen Verhandlung verzichtet und mitgeteilt hatte, sich im Hinblick auf ihre im rechtlichen Hinweis vom 23. April 2020 von der Vergabekammer nicht berücksichtigte Stellungnahme vom 22. April 2020 in ihrem rechtlichen Gehör nicht verletzt zu fühlen, somit mit einer Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB einverstanden erklärt hat, hat die Vergabekammer den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und mitgeteilt im schriftlichen Verfahren zu ent-scheiden.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.
a) Die streitgegenständliche Aufhebungsentscheidung betrifft einen öffentlichen Dienstleis-tungsauftrag eines dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Auftraggebers, § 103 Abs. 4, §§ 98, 99 Nr. 2 GWB, so dass das Nachprüfungsverfahren nach § 155 GWB statthaft und die Vergabekammer des Bundes nach § 159 Nr. 2 GWB zuständig ist.
b) Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, soweit sie sich gegen die Aufhebung des Vergabeverfahrens richtet. Das nach § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB erforder-liche Interesse am öffentlichen Auftrag ergibt sich daraus, dass die ASt für den Zuschlag vorgesehen war. Die ASt hat auch geltend gemacht, durch die Aufhebungsentscheidung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein. Danach haben Unternehmen Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten wer-den. Die Aufhebung ist eine Entscheidung in einem Vergabeverfahren im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB und die Ermächtigungsgrundlage zur Aufhebung nach § 63 Abs.1 VgV daher prinzipiell bieterschützend (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 18. Juni 2002, Rs. C
– 9 –
92/00; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2003, Az.: X ZB 43/02), so dass sich die ASt ohne Weiteres darauf stützen kann, die Ag habe einen entsprechenden Vergaberechts-verstoß begangen. Den nach § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB für die Antragsbefugnis erforder-lichen Schaden, der durch die behauptete Rechtsverletzung zu entstehen droht, hat die ASt mit Blick auf den für beide Lose an sie vorgesehenen Zuschlag hinreichend darge-legt. Die ASt ist auch ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nach-gekommen. Die Frist für die Einreichung des Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist gewahrt.
c) Der ASt fehlt die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB, soweit sie einen Ver-stoß gegen § 63 Abs. 2 VgV (aa) sowie die Dokumentationspflicht nach § 8 VgV (bb) geltend macht.
aa) Nach § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB ist ein Antragsteller nur antragsbefugt, wenn er dar-legt, dass ihm durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Dieser Schaden muss darin bestehen, dass durch den im Einzelnen beanstandeten Vergaberechtsverstoß seine Aussichten auf den Zuschlag verschlechtert worden sein können (vgl. nur Möllenkamp, in: Kulartz u.a. (Hrsg.), Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 160 Rdnr. 86).
Soweit die ASt in ihrem Nachprüfungsantrag geltend macht, die Ag habe gegen § 63 Abs. 2 Satz 1 VgV verstoßen, fehlt es der ASt allerdings an einem entsprechenden Schaden, der ihr gerade durch den insoweit behaupteten Vergaberechtsverstoß kausal entstanden ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2017, Az.: VII-Verg 9/17, sub II.1.b) bb) sowie VK Bund, Beschluss vom 3. Juni 2018, VK2-44/18 zur vergleichbaren Situation eines fehlenden Schadens bei vom Antragsteller behaupteten Verstoß gegen die Informationspflicht nach § 134 Abs. 1 GWB). Es ist nicht im Ansatz erkennbar, dass dieser von der ASt geltend gemachte Verstoß die Zuschlagschancen der ASt tangiert haben könnte.
Der öffentliche Auftraggeber hat den Bewerbern oder Bietern nach Aufhebung des Vergabeverfahrens gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 VgV unverzüglich die Gründe für seine Entscheidung mitzuteilen, auf die Vergabe eines Auftrags zu verzichten. Die Aufhebung ist nach dem § 63 Abs. 2 Satz 1 VgV ex-post, das heißt nachträglich mitzuteilen. Die Mitteilung dient dazu, Bewerbern und Bietern schnell die Möglichkeit zu geben, sich bei
– 10 –
ihrer bisherigen Betriebsplanung auf die Änderung einzustellen und anderweitig dispo-nieren zu können.
Unterstellt – und unabhängig von der Frage, ob ein Verstoß gegen § 63 Abs. 2 VgV in der Sache hier überhaupt vorliegt –, die ASt erhielte nun von der Ag eine Mitteilung über die Aufhebungsgründe mit mehr Substanz, lässt sich nicht erkennen, dass sich ihre Zu-schlagschancen im Rahmen der begehrten Fortführung des Vergabeverfahrens, in dem ihr jeweils der Zuschlag nach den Mitteilungen der Ag vom 12. März 2020 zu erteilen wäre, allein dadurch verbesserten. Das richtet sich allein danach, ob – wie von der ASt ja ebenfalls gerügt – die Ag einen sachlichen Grund zur Aufhebung des Vergabeverfah-rens hat bzw. keine Scheinaufhebung gegeben ist. Im Übrigen hat die als unzureichend bemängelte Mitteilung über die Gründe für die Aufhebung beider Lose bzw. des zugrunde liegenden Vergabeverfahrens auch die Rechtschutzmöglichkeiten der ASt nicht beein-trächtigt, da die ASt in der Lage war, ihre daran anschließenden Rügen vom 25. März 2020 bei der Ag anzubringen und nach deren Nichtabhilfemitteilung vom 30. März 2020 ihren Nachprüfungsantrag rechtzeitig zu stellen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Im Übrigen hätte die Ag, selbst wenn sie zunächst keine dem § 63 Abs. 2 Satz 1 VgV entsprechende unverzügliche Begründung für die Aufhebung gegeben hätte, dies aller-spätestens in der Sache mit ihrer Erwiderung vom 14. April 2020 auf den Nachprüfungs-antrag geheilt. Eine derartige Heilung von Begründungsmängeln noch während des Nachprüfungsverfahrens wäre, ähnlich wie auch bei einer unzureichenden Vorabinfor-mation nach § 134 Abs. 1 GWB bis zur Zuschlagserteilung (vgl. hierzu Maimann, in: Ku-lartz (Hrsg.), Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 134 GWB Rdn. 33), mit dem soeben beschriebenen Zweck des § 63 Abs. 2 VgV vereinbar und daher grund-sätzlich möglich. Die ASt hat in ihren Erwägungen vom 14. April 2020 auch gegenüber der ASt im Einzelnen und ausführlich die Gründe vertiefend dargelegt, die sie dazu be-wogen haben, das Vergabeverfahren für die beiden streitgegenständlichen Lose aufzu-heben. Dabei hat die Ag sich gerade nicht – wie von der Ag insbesondere im Hinblick auf die ursprüngliche Mitteilung der Aufhebung seitens der Ag bemängelt – darauf be-schränkt, sich allgemein auf Auswirkungen der Corona-Pandemie zu beschränken. Sie hat vielmehr ausführlich dargelegt, welche Auswirkungen sich auf den Arbeitsmarkt und die arbeitsmarktpolitischen Aufgaben der Ag, insbesondere der […] vor Ort, ergeben ha-ben. Das genügt den oben dargelegten Anforderungen des § 63 Abs. 2 Satz 1 VgV in jedem Fall.
– 11 –
bb) Soweit die ASt ferner in ihrem Schreiben vom 27. April 2020 geltend macht, die Ag habe in der Vergabeakte eine hinreichende Dokumentation der Aufhebungsentscheidung bzw. ihrer Gründe zur Aufhebung unterlassen, fehlt es ihr ebenfalls an einem durch diese behauptete Rechtsverletzung drohenden Schaden nach § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB, der ihr gerade durch den insoweit behaupteten Vergaberechtsverstoß kausal entstanden ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01. April 2020, Az.: VII-Verg 33/19 sub II.1.b)). Es ist nicht erkennbar, dass dieser von der ASt geltend gemachte Verstoß gegen die in § 8 Abs. 1 VgV konkretisierte Dokumentationspflicht die Zuschlagschancen der ASt im Rah-men der begehrten Fortführung des Vergabeverfahrens, tangiert hat.
Grundsätzlich ist im Vergabeverfahren gemäß § 8 Abs. 1 VgV eine Dokumentation in Textform nach § 126 b des Bürgerlichen Gesetzbuches zu führen, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist. Der nach § 8 Abs. 2 VgV zu führende Vergabevermerk umfasst bestimmte Mindestanga-ben.
Auch bei einer unterstellten und über die in der Vergabeakte bereits dokumentierten Er-wägungen noch hinausgehenden Dokumentation der Aufhebungsentscheidung wäre aber – unabhängig von der Frage, ob ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 VgV in der Sache hier überhaupt vorliegt – nicht erkennbar, dass sich die Zuschlagschancen der ASt im Rahmen der begehrten Fortführung des Vergabeverfahrens, in dem ihr jeweils der Zu-schlag nach den Mitteilungen der Ag vom 12. März 2020 zu erteilen wäre, allein dadurch verbesserten. Ausschlaggebend dafür ist vielmehr – wie schon ausgeführt –, ob die Ag einen sachlichen Grund zur Aufhebung des Vergabeverfahrens hat oder nicht. Es kommt hinzu, dass die von der ASt als unzureichend bemängelte Dokumentation ihre Recht-schutzmöglichkeiten ebenfalls nicht beeinträchtigt hat (vgl. oben).
Im Übrigen wäre auch im Hinblick auf die Dokumentationspflicht der Ag zu berücksichti-gen, dass die Ag – unterstellt, die in der Vergabeakte bereits dokumentierten Erwägun-gen in den Vermerken vom 19. und 23. März 2020 sowie in dem E-Mail-Verkehr mit dem […] gäben die wesentlichen Schritte und Ermessenserwägungen zur Aufhebungsent-scheidung tatsächlich nur unzureichend wieder – diese jedenfalls mit ihrer sehr dezidier-ten Antragserwiderung vom 14. April 2020 zu den Gründen der Aufhebung und der am selben Tage übermittelten Übersicht über die seit dem 16. März 202 aufgehobenen
– 12 –
Vergabeverfahren spätestens im Nachprüfungsverfahren geheilt hätte. Eine solche Hei-lung von Dokumentationsmängeln wäre mit Blick auf den Zweck der Dokumentations-pflicht des § 8 VgV auch grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, Az.: X ZB 4/10). Ausgeschlossen wäre diese nur, wenn eine solchermaßen nach-geschobene Dokumentation im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichte, um eine wett-bewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Dies wäre hier aber nicht der Fall, da – wie auch im Folgenden noch festzustellen sein wird – von der Antragserwiderung vom 14. April 2020 sowie der am gleichen Tage übermittelten Übersicht über die seit dem 16. März 2020 bei der Ag aufgehobenen Vergabeverfahren – keinerlei Manipulationsge-fahr ausginge, die die Wettbewerbskonformität des Vergabeverfahrens beeinträchtigte.
d) Das für den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag (Ziff. 2 des Nachprüfungsantrags) erforderliche besondere Feststellungsinteresse ergibt sich aus der nicht grundsätzlich auszuschließenden Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs und der Bindungswir-kung gemäß § 179 Abs. 1 GWB, die ein festgestellter Vergaberechtsverstoß für ein sol-ches im Übrigen gesondert zu führendes Verfahren entfalten würde (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2007, X ZR 18/07).
2. Der Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, unbegründet. Die Ag hat keinen Anspruch auf Aufhebung der Aufhebungsentscheidung der Ag und Abschluss des Vergabeverfahrens durch Erteilung des Zuschlags auf ihre Angebote zu Los 1 und 2. Denn die Ag war gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV berechtigt, die Ausschreibung aufzuheben, weil der dort nor-mierte Aufhebungstatbestand erfüllt ist (unter a). Die Ag hat das ihr zustehende Entschei-dungsermessen fehlerfrei ausgeübt (unter b).
a) Die Ag hat sich zu Recht auf den Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV berufen. Danach kann das Verfahren aufgehoben werden, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat.
aa) Eine wesentliche Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens liegt vor, wenn sich die Rahmenbedingungen für bzw. die Anforderungen an die Leistungserbringung für Auftraggeber bzw. Bieter unvorhergesehen erheblich verändern und eine Fortführung
– 13 –
des Vergabeverfahrens daher nicht mehr möglich bzw. zumutbar ist (vgl. Portz, in: Ku-lartz (Hrsg.), Kommentar zur VgV, 2017, § 63 VgV Rdnr. 45; vgl. OLG München, Be-schluss vom 4. April 2013, Verg 4/13).
Eine derartige erhebliche Veränderung, die von der Ag nicht vorhersehbar war und ihr somit auch nicht im Sinne einer von ihr selbst verschuldeten Aufhebung zugerechnet werden kann, liegt hier in sachlicher Hinsicht vor.
Die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ist – was zwi-schen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist – ein weder der Ag zurechenbares noch vorhersehbares Ereignis.
Die Antragsgegnerin hat außerdem nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Bedingun-gen für die ausgeschriebenen Maßnahmen erheblich verändert haben, so dass eine Fort-setzung des Verfahrens derzeit nicht möglich bzw. zumutbar ist.
(1) Sie hat darauf verwiesen, dass die ausgeschriebenen Maßnahmen zur Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bzw. zur Aktivierung und beruflichen Einglie-derung angesichts der Corona-bedingten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt der-zeit nicht erfolgversprechend seien. Es sei kaum absehbar, ob bzw. inwieweit ent-sprechender Bedarf bestehe, insbesondere in dem durch die Lose im Schwerpunkt betroffenen Hotel- und Gaststättengewerbe. Die entsprechenden Unternehmen wüssten derzeit kaum, wie sie ihre bisherige Stammbelegschaft halten könnten. Die Gewinnung von neuen Beschäftigten, zudem mit aktivierungsbedürftigen persönli-chen Problemlagen, stehe bei den Unternehmen maßgeblich des Hotel- und Gast-stättengewerbes derzeit coronabedingt nicht im Vordergrund. Die Ag hat ferner auf die praktischen Schwierigkeiten bei Durchführung von Präsenzveranstaltungen ver-wiesen. So sei unklar, wann die erforderlichen Präsenzmaßnahmen gestartet werden könnten. Auch sei unklar, wann bzw. inwieweit mit den Teilnehmern während der aktuell noch laufenden Kontaktsperre Kontakt aufgenommen werden könne. Diese Erwägungen der Ag lassen es vielmehr als sehr nachvollziehbar erscheinen, dass aufgrund eintretender Veränderungen des Bedarfs an arbeitsmarktpolitischen Maß-nahmen eine neue Bestandsaufnahme bei der Ag erfolgen muss. Erst dann können Planungen angepasst und danach entsprechende Ausschreibungen vorgenommen werden. Hinzu kommt, dass – wie der von der Ag in ihrer Antragserwiderung vom 14.
– 14 –
April 2020 dargelegt – die Bedarfsträger die Tätigkeiten ihres Personals von ursprüng-lich vorwiegend vermittlerischen und beratenden Tätigkeiten in leistungsbewilligende Bereiche verlagert haben. Daraus ergeben sich, wie von der Ag näher dargelegt, deutliche Auswirkungen auf die verfügbaren Haushaltsmittel, die entsprechend um-zuschichten seien. Im Ergebnis resultiere daraus, dass die arbeitsmarktpolitischen Aufgabenbereiche der Ag umverteilt und geplant werden müßten. Gleichzeitig hat die Ag in ihrem Vermerk vom 23. März 2020 den Aspekt einer zusätzlich möglichen Haushaltssperre für die regionalen Einkaufszentren der Ag berücksichtigt.
(2) Auch die so in die Erwägungen der Ag einbezogenen Änderungen der Finanzierungs-grundlagen stellt einen rechtmäßigen Aufhebungsgrund im Vergabeverfahren dar, wenn Haushaltsmittel durch unvorhergesehene Ereignisse überraschend gekürzt o-der ganz zurückgezogen werden, vergleichbar einer Störung oder eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. April 2013, Verg 4/13). Eine wesentliche Änderung der Grundlage liegt insofern vor, wenn dem Auftraggeber wegen einer ungesicherten Finanzierung nicht zuzumuten ist, trotz dieser Änderun-gen eines der eingegangenen Angebote anzunehmen. Hier hat die Ag sehr nachvoll-ziehbar dargelegt, dass die Verwendung der Haushaltsmittel angesichts der akut an-fallenden beträchtlichen Aufgabenverlagerungen hin zur Leistungsgewährung des Bedarfsträgers neu überdacht und konzipiert werden müsse.
(3) Nach allem ist es der Ag insgesamt nicht zuzumuten, das Vergabeverfahren wie ge-plant fortzuführen, da ihr in sachlich-finanzieller Hinsicht der prognostizierte Rahmen unvorhergesehen weggebrochen ist.
bb) Die wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahren muss sich zudem nach Einleitung des Vergabeverfahrens verwirklicht haben (vgl. OLG München, Be-schluss vom 6. Dezember 2012, Verg 25/12; Hermann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, § 63 VgV, Rn. 5). Im Hinblick auf das streitgegenständliche Vergabe-verfahren sind sowohl die akute pandemische Ausbreitung des Corona-Virus als auch die damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen durch Betriebsschließungen erst nach der Auftragsbekanntmachung am 15. Januar 2020 eingetreten. Nicht hingegen ist – so aber die Auffassung der ASt – auf den Zeitraum beginnend ab Zuschlagsentscheidung am 12. März 2020 abzustellen. Die Mitteilung des beabsichtigten Zuschlags resultiert aus den vergaberechtlichen Wartefristen nach § 134 GWB und dient dem Rechtsschutz
– 15 –
unterlegener Bieter. Sie begründet als solche keinen verfestigten Anspruch auf Fortset-zung des Vergabeverfahrens und Erteilung des Zuschlags. Entscheidend ist allein, dass eine wesentliche Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens vor der abschließen-den Zuschlagserteilung eingetreten ist.
Dies ist im streitgegenständlichen Vergabeverfahren, wie festgestellt, der Fall. Es ist festzuhalten, dass sich gerade auch nach dem 12. März 2020 eine rapide Veränderung der Einschätzung und öffentlichen Diskussion der Situation in Deutschland in der weite-ren Folge des Vergabeverfahrens manifestiert hat. Die Entwicklung ist schließlich in dem Beschluss eines „harten“ Lockdowns des öffentlichen Lebens in den Bundesländern ab dem 23. März 2020 umgesetzt worden. Es hat sich mithin ab dem 12. März 2020 tat-sächlich eine weitere gravierende Veränderung der Ausgangslage für die planmäßige Durchführung der ausgeschriebenen Maßnahmen ergeben. Dies reicht bereits aus, um in zeitlicher Hinsicht eine Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens anzuneh-men.
cc) Auf den Aufhebungstatbestand der Auffangnorm des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VgV, den die ASt erst recht nicht gegeben sieht, kommt es nach den vorstehenden Ausführun-gen nicht mehr an.
b) Die Ag hat das ihr nach § 63 Abs. 1 Satz VgV zustehende Ermessen zur Aufhebung („ist berechtigt“) fehlerfrei ausgeübt. Der Ag steht insofern ein inhaltlicher Entscheidungsspiel-raum zu, den die Vergabekammer nur darauf untersuchen kann, ob die Ag zu ihrer Ent-scheidung in einem fehlerfreiem Verfahren gelangt ist, insbesondere einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt und die rechtlichen Grenzen des Ermessens, maßgeblich das Willkürverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, eingehalten hat. Die Verga-bekammer darf eine dementsprechend fehlerfrei zustande gekommene Aufhebung nicht durch eine eigene Entscheidung ersetzen.
aa) Diese Maßstäbe hat die Ag bei ihrer Entscheidung, das Vergabeverfahren zu beiden Losen aufzuheben, eingehalten. Sie hat in ihren internen Überlegungen im Vermerk vom 19. Und 23. März 2020 zahlreiche Aspekte der aus der Corona-Pandemie entstehenden Situation für die laufenden Vergabeverfahren diskutiert und Lösungsansätze abgewogen. Im Ergebnis hat sie als das Verfahren für verschiedene örtliche Bedarfsträger führende Vergabestelle beschlossen, diese Bedarfsträger als haushaltsrechtlich Verantwortliche
– 16 –
und Vor-Ort-Tätige jeweils entscheiden zu lassen. Sie hat insoweit festgestellt: „Jeder Beauftragte für den Haushalt (BfdH) muss im Rahmen seiner Verantwortlichkeiten über-legen, wie er die Beitrags- und Steuergelder – in dieser Krise – am effektivsten einsetzt.“ Das […] hat auf entsprechende Anfrage der Ag insoweit mitgeteilt, dass die Auswirkun-gen der Corona-Krise zum Zeitpunkt der Antwort am 20. März 2020 nicht planbar sei und daher auch keine Verschiebung möglich. Diese situationsbezogene Einschätzung des zuständigen […] hat die Vergabestelle der Ag aufgegriffen und auf diese Weise auch den entscheidungserheblichen Sachverhalt zutreffend ermittelt und sachgemäß gewürdigt. Der Bedarfsträger, das […], hat dementsprechend auf die Anfrage der Vergabestelle in seiner in der Vergabeakte dokumentierten E-Mail-Antwort vom 20. März 2020 an die Vergabestelle ausgeführt, aufgrund der aktuellen (coronabedingten) Situation seien die Auswirkungen nicht planbar und eine Verschiebung der Maßnahme nicht möglich. Die Vergabestelle hat dies aufgegriffen und bei der Aufhebungsentscheidung auch zutreffend berücksichtigt. Dem entspricht die Zusammenfassung der Vergabestelle in ihrem Ver-merk vom 23. März 2020, das […] habe mitgeteilt, die Entwicklung des (lokalen) Arbeits-marktes sei bedingt durch die Epidemie derzeit nicht absehbar. Entgegen der Ansicht der ASt, ist darin also keine willkürliche Auslegung der Ausführungen des Bedarfsträgers zu sehen.
bb) Das Ermessen der Ag ist auch vor dem Hintergrund des bereits seitens der Ag für beide Lose mit den Schreiben vom 12. März 2020 avisierten Zuschlags nicht dahin redu-ziert, dass die Ag zum Vertragsschluss verpflichtet werden kann.
Unabhängig davon, ob ein Aufhebungsgrund i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV vorliegt, kann ein öffentlicher Auftraggeber auch darüber hinaus nach § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Er kann von den Nachprüfungsinstanzen nicht ge-gen seinen Willen verpflichtet werden, trotz der ausdrücklich erklärten Aufhebung das Verfahren fortzusetzen und damit den Auftrag zu erteilen, ein Kontrahierungszwang be-steht grundsätzlich nicht für den öffentlichen Auftraggeber (vgl. auch Begründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts, BT-Drucksache 18/731818 vom 20. Januar 2016, zu § 63 Abs. 1, S. 198 f.). Grundsätzlich kann eine Vergabestelle von einem Beschaffungsvorhaben selbst dann Abstand zu nehmen, wenn – was hier wie oben fest-gestellt nicht der Fall ist – dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorläge (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; OLG
– 17 –
Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2013, VII-Verg 16/13). Denn es kann unabhän-gig von den in § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV aufgeführten Tatbeständen verschiedene Gründe geben, die den öffentlichen Auftraggeber daran hindern, eine einmal in die Wege gelei-tete Ausschreibung ordnungsgemäß mit der Erteilung eines Zuschlags an einen Bieter zu beenden. Notwendige Voraussetzung für die Aufhebung einer Ausschreibung außer-halb der Tatbestände des § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV ist deshalb nur, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht will-kürlich ist oder lediglich zum Schein erfolgt (BGH, Urteil vom 18. Februar 2003, X ZB 43/02; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. November 2010, VII-Verg 28/10). Denn auch im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Aus-schreibenden liegt. Eine Verpflichtung zur Vergabe von Aufträgen durch die Nachprü-fungsinstanzen wäre zudem mit dem auch das Vergaberecht beherrschenden Grundsatz der Sparsamkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel nicht zu vereinbaren (so schon: BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 48/97).
Ein sachlicher Grund für die Aufhebung liegt hier – wie bereits oben festgestellt – in jedem Fall vor. Auch gibt es keine sonstigen Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Vorge-hensweise der Ag in Form einer Scheinaufhebung oder einer Diskriminierung der ASt. Die Ag hat die Aufhebung nicht nur zum Schein propagiert, um in Wirklichkeit an ihrer Vergabeabsicht festzuhalten. Dies ist ausweislich des in der Vergabeakte dokumentier-ten Aufhebungsvorgangs und der Ausführungen in der Antragserwiderung der Ag vom 14. April 2020 gerade nicht der Fall. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das […] in der E-Mail-Antwort an die Vergabestelle vom 20. März 2020 ausgeführt hat, eine erneute Ausschreibung zu einem planbaren Zeitpunkt bleibe eine Option. Daraus geht unmissverständlich hervor, dass es dem Bedarfsträger insofern gerade um einen planbaren Zeitpunkt geht, der ausweislich seiner weiteren Ausführungen in dieser E-Mail situativ aber gerade anders eingeschätzt worden ist und daher derzeit im Hinblick auf die von der Vergabestelle zusammengefassten Aspekte ein Bedarf zur Fortführung des Vergabeverfahrens nicht gesehen worden ist.
Die Ag hat vielmehr ab dem 16. März 2020 […] eine größere Zahl von Aufhebungen unter Hinweis auf die krisenbedingte Veränderung der Rahmenbedingungen vorgenommen. Die Ag will die Vergabe der Maßnahmen in diesen Fällen neu planen, was voraussetzt,
– 18 –
dass der jeweilige Bedarf angesichts der von der Ag beschriebenen Situation neu bewer-tet bzw. ermittelt werden muss (vgl. Vergabeakte: Vermerk vom 19. März 2020, S. 2, sowie Vermerk vom 20. März 2020, S. 2). Damit scheidet der Tatbestand der Scheinauf-hebung aus. Auch ist eine gezielte Diskriminierung der ASt nicht erkennbar. Die Ag hat zahlreiche Verfahren – aktuell 28 aufgehobene Vergabeverfahren – nach Rücksprache mit den Bedarfsträgern im Zuständigkeitsbereich der Ag aufgehoben. Dies ergibt sich aus der von ihr mit ergänzendem Schreiben vom 14. April 2020 vorgelegten Übersicht. Hierdurch wird belegt, dass nicht nur Verfahren, an denen sich die ASt beteiligt hat, von einer Aufhebung betroffen, sondern gleichgelagerte Entscheidungen in einer Vielzahl weiterer Vergabeverfahren erfolgt sind.
Unerheblich ist entgegen der Ansicht der ASt in diesem Zusammenhang, in wie vielen Fällen die Ag zuletzt nach dem 16. März 2020 noch Zuschläge erteilt hat oder Aufhebun-gen erst nach der bereits erfolgten Mitteilung über den angekündigten Zuschlag erfolgten. Es besteht kein Anlass, im vorliegenden Verfahren solche zusätzlichen Informationen beizuziehen. Eine Aufhebung ist grundsätzlich eine Einzelentscheidung der ausschrei-benden Stelle, für die ein sachlicher Aufhebungsgrund vorliegen muss. Für die Prüfung einer missbräuchlichen Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers in Form der ge-zielten Diskriminierung eines Bieters, war hier zu berücksichtigen, ob die Ag neben den Ausschreibungen, die die ASt betrafen, im vergleichbaren zeitlichen Kontext auch andere Ausschreibungen aufgehoben hat. Dies war hier der Fall, so dass keine Anhaltspunkte für eine gezielte Diskriminierung der ASt erkennbar sind.
cc) Die Ag hat auch den vergaberechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB gewahrt und auch insofern ihr Aufhebungsermessen fehlerfrei aus-geübt. Anders als die ASt meint, war die Ag nicht gehalten, vor einer Aufhebung etwaig mildere Maßnahmen in Gestalt einer noch mit der ASt zu vereinbarenden Verschiebung der Maßnahmen zu ergreifen. Das scheitert schon daran, dass Verschiebungen der Ver-tragslaufzeit wesentliche Auftragsänderungen darstellten, die nach § 132 Abs. 1 GWB ausschreibungspflichtig wären. Wesentlich sind nach § 132 Abs. 1 Satz 2 GWB solche Änderungen, die dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich vom ursprüng-lich vergebenen Auftrag unterscheidet. Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 lit. a) GWB liegt eine wesentliche Änderung insbesondere vor, wenn mit der Änderung Bedingungen einge-führt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer Bieter ermöglicht hätte. Dies folgt hier daraus, dass die ursprüngliche zeitliche Planung des Auftragsbeginns bzw. der Vertragslaufzeit Wettbewerber von der
– 19 –
Angebotsabgabe abgehalten haben kann, weil diese ihre Kapazitäten bereits verplant hatten, und die bei einer nicht ausgeschriebenen Verschiebung der Vertragslaufzeit von einer erneuten Angebotsabgabe abgehalten würden. Jedenfalls hat sich die Ag in ihrem Vermerk vom 19. März 2020 (ebd., S. 2) auch mit der Frage der Kündigung bzw. Ver-schiebung des Maßnahmenendes in laufenden Verfahren nach § 5 Nr. 2 VOL/B (Verlän-gerung von Ausführungsfristen bei höherer Gewalt) beschäftigt. Sofern in diesen Fällen nicht ohnehin eine wesentliche Änderung des Auftrags im Sinne von § 132 Abs.1 GWB vorliegen sollte, hat die Ag mit Blick auf § 5 VOL/B festgestellt, dass bei einem neu er-teilten Auftrag kein sofortiges Kündigungs- bzw. Verschiebungsrecht bestehe. Nach Zu-schlagserteilung bestünde vielmehr die Gefahr, dass aufgrund vertraglicher Regelungen bis zu 70% der Zahlungen geleistet werden müssten, auch wenn die Maßnahmen nicht ausgelastet seien. Die Träger solcher Maßnahmen könnten in diesen Fällen in Schwie-rigkeiten geraten, weil bei einer Verschiebung des Maßnahmenendes Personal und Räumlichkeiten anderweitig gebunden sein könnten. Vor diesem Hintergrund wäre selbst eine Verschiebung nach § 5 VOL/B keine mildere Maßnahme, die genauso ge-eignet wie eine Aufhebung des Vergabeverfahrens wäre, zumal die Ag dann an einen Vertrag gebunden wäre, obwohl der Bedarf derzeit nicht planbar ist. Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Ausüben des Ermessens sind also auch insoweit nicht ersichtlich.
c) Über den hilfsweise gestellte Antrag zu 2. auf Feststellung, dass die Aufhebung des o.g. Vergabeverfahrens rechtswidrig war und die ASt in ihren Rechten verletzt ist, ist nicht zu entscheiden, da die Aufhebung – wie oben festgestellt – rechtmäßig erfolgt ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG (Bund).
Die ASt hat als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Ver-fahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag zu tragen.
– 20 –
IV.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist schrift-lich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, beim Oberlandesgericht Düsseldorf – Vergabesenat -, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegrün-dung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten
und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Be-schwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

Die pandemische Verbreitung des neuartigen Coronavirus ab Januar 2020 ist ein unvorhersehbares Ereignis wodurch eine Vergabe nach § 63 VgV aufgehoben werden kann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Nach oben scrollen